Hugo von Sankt Viktor - Institut
für Quellenkunde des Mittelalters
Zielsetzungen:
Die Tagung verfolgt mehrere Ziele. Neben der Absicht, den Forschungsstand der Geschichts- und Historischen Islamwissenschaften zum Thema festzustellen und durch den Einbezug weiterer Fachdisziplinen neue Forschungsperspektiven zu eröffnen, berücksichtigt die Veranstaltung insbesondere wissenschaftsstrategische Ziele: Zum einen wurde bewußt ein Thema aus dem west- und südwesteuropäischen Kulturraum gewählt, an dessen Erforschung in erster Linie die englisch-, spanisch- und französischsprachige Mediävistik beteiligt ist, während die deutsche Forschungslandschaft noch unterrepräsentiert erscheint. Zum anderen wird die Relevanz des Tagungsgegenstandes gerade für unsere Gegenwartsfragen zunehmend erkannt (Was ist „Europa“? Integration oder Desintegration des Islam im „europäischen Haus“? Interkultureller und interreligiöser Dialog in der Gesellschaft der Gegenwart?). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert daher seit Sommer 2005 das neue sechsjährige Schwerpunktprogramm 1173 „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“, in dem an 14 deutschen Hochschulen 26 deutsche Nachwuchswissenschaftler in 21 Einzelprojekten die personelle, inhaltliche und methodische Vernetzung ihrer Forschungsinstitutionen mit der nationalen wie internationalen Forschung vorantreiben sollen (Homepage: http://www.spp1173.uni-hd.de). Die geplante Tagung ist ein Angebot zur Realisierung dieses umfassenden Kooperationsvorhabens, weshalb wir uns innerhalb Deutschlands für den attraktiven internationalen, interkulturellen und interreligiösen Standort Frankfurt am Main als Veranstaltungsort entschieden haben. Hinsichtlich der interdisziplinären Dichte der Fächer wie des internationalen Zuschnitts der durchweg renommierten Referenten wird die Konferenz ein herausragendes wissenschaftliches wie gesellschaftliches Ereignis, das es in dieser Konstellation in Deutschland noch nicht gegeben hat. Die Tagung ist zudem bewußt mehrsprachig gehalten. Als Kongreßsprachen sind daher alle international üblichen Wissenschaftssprachen willkommen (Englisch, Spanisch, Französisch, Deutsch, Italienisch). Wir erwarten von dieser interdisziplinären wie internationalen Konstellation entscheidende Impulse für ein vertieftes Methodenbewußtsein in den beteiligten Fächern, für eine entscheidende Profilschärfung insbesondere bei den Nachwuchskräften und für eine weitere Internationalisierung der wissenschaftlichen, kulturellen und religiösen Kontakte der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler des Forschungsstandortes Deutschland.

Inhalt:
Die Tagung hat das integrative und desintegrative Denken und Handeln der weltlichen und religiösen Entscheidungsträger in den christlichen Reichen des Nordens und den muslimischen Herrschaftsgebieten im Süden der Iberischen Halbinsel zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert zum Gegenstand.
Anhand von drei inhaltlichen und methodischen Themenblöcken durchschreitet und bemißt die Tagung das geographische, kulturelle und religiöse Spannungsfeld dieser europäischen Kernregion in Form einer intellektuellen Topographie, an der bis heute vornehmlich Juden und Christen, aber auch einige Muslime schreiben. Angesprochen werden am ersten Tag Aspekte der interkulturellen und interreligiösen Transfer- und Transformationsprozesse (I) in Form von philosophischen, wissenschaftlichen, künstlerischen und religiösen Übersetzungsinitiativen. In einem zweiten Schwerpunkt geht es am folgenden Tag um Fragen der Selbstkonstitution und Integration (II). Dies geschieht mit Blick auf Phänomene der Abgrenzung und Öffnung gegenüber kulturell und religiös Fremdem und Anderem sowie am Beispiel der Transformation der Wahrnehmungs-, Begegnungs- und Deutungsmuster im Spiegel von Fremdsprachenstudium und Akkulturation. In einem dritten Komplex werden am Schlußtag der Konferenz schließlich die Auf- und Umbrüche, aber auch die Abbrüche (III) im Spiegel von Heiligem Krieg und Reconquista, Konversion und Mission untersucht. In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage nach der politischen und gesellschaftlichen Integration der christlichen iberischen Königreiche und der Desintegration der muslimischen andalusischen Kleinkönigreiche im Hoch- und Spätmittelalter bis zur Schwelle der Neuzeit.
Insgesamt werden dabei reale, aber auch nicht existierende Räume und Orte der Begegnung, Wahrnehmung und Deutung be- und durchschritten und wissenschaftliche Entwicklungspotentiale zwischen diesen Themenfeldern aufgezeigt. Die Veranstaltung fragt nach den Wechselwirkungen zwischen dem Transfer von Wissen und Methoden in der Begegnung, Wahrnehmung und Deutung des kulturell und religiös Fremden und Anderen einerseits und den transformativen Auswirkungen dieser Übertragungsprozesse auf die kirchliche, politische und gesellschaftliche Gestaltung und Selbstkonstitution des christlichen Nordens und des muslimischen Südens der iberischen Halbinsel andererseits.
Die Frage nach Transfer, Selbstkonstitution und Transformation soll dabei aus der Perspektive zentraler textlicher und bildlicher Denkmäler in ihren gesellschaftlichen, kirchlichen, handschriftlichen und künstlerischen Kontexten beantwortet werden. Leitfrage der Tagung wird sein: Worin erwies sich das Wechselspiel zwischen dem Wissens- und Methodentransfer und der Transformation der Wahrnehmungs-, Begegnungs- und Deutungsmuster als Movens, Katalysator und Mittel der Selbstkonstruktion, worin aber auch als Hemmnis von Integration oder gar als Legitimationspotential zur Desintegration des fremden bzw. anderen Gegenüber?

Methoden:
Die Beiträge werden die Überlieferung und Rezeption von Texten und Denkmälern in ihren Kontexten thematisieren.

Gliederung der Tagung:
Die Tagung beginnt mit einem öffentlichen Abendvortrag in feierlichem Rahmen (sefardische Musik auf Originalinstrumenten) im Zentrum Frankfurts am Main. Der Wissenschaftliche Kongreß selbst gliedert sich in drei Schwerpunkte (I–III) mit insgesamt sieben Einheiten (1–7). Letztere bestehen jeweils aus einem Grundsatzreferat (40 min) einer/eines ausgewiesenen Wissenschaftlerin/Wissenschaftlers, die/der die generellen Leitlinien des Themensegments skizzieren und die Forschungsperspektiven zu dem genannten Tagungsthema herausstellen soll (fett), und aus 3–4 pointierten Stellungnahmen (20 min) von weiteren, auch jüngeren Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern, die sich auf neue Forschungsschwerpunkte konzentrieren sollen und dabei in einem Spannungsverhältnis zu den Grundsatzreferaten stehen dürfen.