Christlich-muslimischer Dialog in Spanien, 12.-15. Jahrhundert
zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert"
1. Die Ausgangslage: Christlich-muslimische Begegnung in europäischer Geschichte und Gegenwart
Dies ist aber nicht nur eine Frage der augenblicklichen Konstellation der Weltgemeinschaft. Vielmehr
muß die Frage nach der Friedens- oder Konfliktbereitschaft der Weltreligionen
und ihrer Bedingungen – insbesondere aber im interreligiösen Verhältnis
– auch aus der Perspektive ihrer geschichtlichen Entstehung und ihrer daraus
resultierenden heutigen Vorbelastungen beantwortet werden. Ist das Christentum zu bestimmten Zeiten sowie in konkreten Kontakträumen, in denen es in Berührung
mit anderen Religionen geraten ist, immer nur „konfliktbereit“ oder nicht
auch „friedens-, toleranz- und konvivenzfähig“ gewesen? In welchem
Maße und warum überwog die eine Haltung mehr als die andere?
Ja, ist die gegenwärtig kolportierte Sicht vom Konflikt der Kulturen
und der Religionen (S. P. Huntington) aus einer spezifisch europäischen
Nahperspektive und -erfahrung überhaupt akzeptabel? So wie das politische Gespräch zwischen einstmals verfeindeten Völkern an den Grenzen zwischen Mitteleuropa
und dem mittleren Osteuropa in Gang gekommen ist, muß der seit etwa
10 Jahren verstärkt in das allgemeine Interesse gerückte interreligiöse
Dialog in den kulturellen Kontakträumen an den Grenzen Europas von
christlicher Seite, und zwar aus dezidiert historischer Perspektive, betrieben
werden, da zahlreiche europäische Konflikte bis in die jüngste
Vergangenheit auch religiös motiviert waren: Während von muslimischer
Seite die Zerstörung von al-Andalus in der spanischen Reconquista
bis 1492, das Ende der türkischen Expansionsbewegung auf der „anderen
Seite Europas“ vor Wien 1683 und der Zerfall des Osmanischen Reiches auf
dem Balkan im frühen 20. Jahrhundert als politisch-militärische
wie auch als religiös-kulturelle Niederlage des Islam verstanden wird,
sind auf christlicher Seite das Scheitern der Kreuzzüge ins Heilige
Land im 12. und 13. Jahrhundert, der endgültige Untergang des Oströmischen
Reichs mit dem Fall Konstantinopels 1453, die Osmanische Herrschaft im
orthodoxen Südosteuropa bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts und
das Problem des internationalen Terrors militanter Islamisten und seiner
Duldung oder Förderung in islamischen Staaten seit dem späten
20. Jahrhundert bedrückende Erfahrungen der christlich-westlichen
Welt. Neben den Negativerlebnissen prägen bis heute auch Unwissenheit, daraus resultierende Vorurteile
und Unreflektiertheit die Wahrnehmung der jeweils anderen Religion und
Kultur als eines Gegenbildes. Diese Fehlprägungen können nur
analysiert und abgebaut werden, wenn ihre geschichtlichen Ursachen erforscht
werden. Daher wird die Notwendigkeit einer historischen Fallstudie zu Texten,
die sich theoretisch und praktisch mit dem Thema der religiös-kulturellen
Konfrontation beschäftigt haben, zunehmend dringlicher. 2. Eine Fallstudie: Die christlich-muslimische Begegnung auf der Iberischen Halbinsel zwischen
dem 12. und 15. Jahrhundert Für die angedeutete historische Fragestellung ist Spanien im Hoch- und Spätmittelalter ein Modellfall.
Es handelt sich um einen eigenständigen geographischen Raum in einer
geschlossenen politischen und kirchlichen Transformations- und Homogenisierungsphase.
Zwar war die Iberische Halbinsel im Laufe des gesamten Mittelalters ein
Kontaktraum andauernder kultureller und religiöser Annäherungen,
Berührungen, Austauschbewegungen und Konflikte zwischen Christentum
und Islam, doch liegt die bislang besonders beachtete Hochzeit dieser Beziehungen
im 12. und 13. Jahrhundert, während die weitere Transformationsphase
im 14. und 15. Jahrhundert weniger intensiv erforscht ist. Dabei ist gerade
Spanien ein Sonderfall im christlichen Europa, da seine Königreiche
eine echte Trennung von Kirche und „Staat“ im Rahmen der gemeinsamen Aufgabe
der Reconquista nicht kannten, weshalb man hier den Prozeß einer
erfolgreichen christlichen „Staatswerdung“, einen politischen Transformationsprozeß
allererster Rangordnung, vor dem Hintergrund der theoretischen und praktischen
Auseinandersetzung mit dem bislang auf religiösem, kulturellem und
politischem Terrain vorherrschenden Islam beschreiben kann. Nur hier läßt
sich für die vorgegebene Zeitstellung eine „Dialoggeschichte als Hintergrundgeschichte“
zur Sozial- und Politikgeschichte einer zumindest äußerlich
erfolgreichen Rechristianisierung schreiben. Zudem besteht bei diesem Vorhaben
keine geringe Aussicht, das Wechselverhältnis von literarischer Auseinandersetzung
und konkreter Begegnung näher zu bestimmen. Bis heute wird die euro-amerikanische Erforschung des Islam im Mittelalter von drei Hauptarbeitsgebieten bestimmt.
Zum einen sind hier zu nennen die theologischen, philosophischen, kultur-
und sozialgeschichtlichen Rekonstruktionsversuche des abendländischen
Islambildes und seiner Herausbildung. Dies gilt für die Einzelstudien
der französischen Philosophiehistorikerin Marie-Thérèse
d’Alverny ebenso wie für die monographischen Untersuchungen des englischen
Islamwissenschaftlers Norman Daniel (1960; 21993) und des englischen
Mediävisten Richard W. Southern (1962; dt. 1981). Zum anderen sind
hier Studien zum wissenschaftlichen, technischen und künstlerischen
sowie philosophischen und theologischen Einfluß der arabisch-islamischen
Kultur vor allem in Spanien auf das gesamte Abendland zu nennen, die sowohl
aus mozarabischer wie aus mudejarischer Perspektive betrieben werden. Hier
sind beispielsweise die Forschungsbeiträge der amerikanischen Historiker
Bernard Lewis und Thomas F. Glick oder des französischen Mediävisten
Pierre Guichard zu nennen. Zum dritten ist im letzten Vierteljahrhundert
eine Zunahme sozial- und religionsgeschichtlicher Untersuchungen zu Konvivenz
und konfliktuellem Verhalten zwischen Christentum und Islam in einer „Frontgesellschaft“
wie der spätmittelalterlichen spanischen festzustellen, in denen vor
allem mit sozialgeschichtlichen Kategorien wie „kulturelle Barriere“, „Parallelgesellschaften“,
„Eigenes und Fremdes“, „Minoritäten und Majoritäten“ oder „Gewalt
und Sexualität“ gearbeitet wird. Die Szene wird hier eindeutig von
der anglo-amerikanischen Forschung, vertreten etwa durch Robert I. Burns
SJ, Jocelyn N. Hillgarth, David Nirenberg, Peter Linehan und Mark D. Meyerson,
dominiert. Bemerkenswert ist in jedem Fall, daß die spanische Forschung
erst seit dem Ende der Franco-Ära verstärkt an den skizzierten
drei Hauptthemenfeldern partizipiert. Eine profilierte Persönlichkeit
wie der in Alicante lehrende Arabist und Theologe Míkel de Epalza
ist bezeichnenderweise Baske französischer Abstammung. Erst in den letzten Jahren sind von philosophischer, theologischer, religionsgeschichtlicher und philologischer
Seite zögerlich auch die Besonderheiten der schon bekannten zeitgenössischen
Wahrnehmungsliteratur der spanischen Christianitas adäquater gewürdigt
worden. Dabei wurde in der Regel aber zu wenig auf ihre mehrfache Kontextualität,
die dadurch bewirkte Funktionalisierung und Adressatenbezogenheit des keineswegs
einheitlichen Islambildes geachtet. Insbesondere ist aber bislang nicht
systematisch untersucht worden, ob und in welchem Maße die christlich-spanische
Islamliteratur auch zum Frieden befähigte oder ob sie nicht doch im
Kontext von Heiligem Krieg, Heidenkreuzzug und Reconquista vornehmlich
zu konfliktuellem Verhalten verleitete. Die Geschichte der interreligiösen
kommunikativen Prozessualität und ihrer Bedingungen, Träger und
Auswirkungen im Kernraum Spanien für das 12. bis 15. Jahrhundert ist
also noch zu schreiben. Um die hier zu untersuchenden Konzepte der spanischen Christianitas zur Friedensfähigkeit und Aggressionsbereitschaft
richtig bewerten zu können, müssen diese in die soziale, politische
und militärische Entwicklungsgeschichte der Iberischen Halbinsel eingebettet
werden. Dies gelingt aber nur durch die Entwicklung eines umfassenden,
methodisch fundierten und systematisch an den Texten angewendeten Kontextualitätskonzepts,
stammen die Quellen der christlich-spanischen Islamliteratur doch aus den
verschiedensten Wissensbereichen (Theologie, Philosophie, Geschichte und
Literatur), gehören unterschiedlichen Gattungen an (Briefe, Traktate,
Streitgespräche, Chroniken, Viten und Gedichte), zielen je nach Gestaltung
(gelehrte, fiktive und volkstümliche Texte) auf unterschiedliche Adressatengruppen
(Gelehrte, Adlige, Laien und reale oder fiktive Leser) und bedürfen
daher jeweils sorgfältiger Einzelbehandlung.
Um den systematisch-methodischen Zugriff auf die Texte zu gewährleisten, muß zunächst als
eine Art „Raster“ ein Autoren-, Text- und Motivrepertorium erstellt werden.
In einem zweiten Schritt werden die literarischen Argumentationsmuster
im mehrfachen Kontext von intellektuellen und religiösen Milieus,
Überlieferungszeiten sowie Produktions- und Rezeptionsformen herausgearbeitet.
Aus textsoziologischer Perspektive wird also die interreligiöse Dialogliteratur
nach der externen (Träger, Bedingungen, Richtungen und Wege, Absichten
und Funktionen), temporalen (Anlässe) und handschrifteninternen Kontextualität
(Medien und Formen) befragt. Die Vorstellung von „Dialog“ wird dabei möglichst
weit gefaßt sein, da nicht nur reale, sondern auch virtuelle Gesprächspartner
im Sinne einer „Hintergrundfolie“, sowohl echt geführte, dann literalisierte,
wie auch fiktive Dialoge oder Gesprächs- bzw. Begegnungsangebote,
sowie Zwiegespräche innerhalb der komplexeren Struktur des religiösen
Trialogs zwischen Vertretern von Christentum, Islam und Judentum zu erwarten
sind. Die avisierte Bemessung der literarischen und sozialen Verhaltensmuster durch eine Ausdifferenzierung
der Motiv- und Handlungsfelder wird auch eine Kritik am generalisierenden
Begriff der „christlichen Islam-Polemik“ liefern. Die Skala christlicher
Positionierungen gegenüber dem Islam zwischen „Krieg“ und „Frieden“
in Theorie und Praxis ist breitgefächert; sie reicht von „Ignoranz“
über „Unwissenheit“ und „indifferenter Koexistenz“ bis hin zur „mißverständnis-
und vorurteilsbehafteten und pragmatischen Konvivenz“, von “kirchlichem
Missionsauftrag“, „Dialogverweigerung“ und „Schweigen“ bis hin zu „Toleranz“,
„Dialogversuchen“ und „Lernprozessen“, von „Druck auf die Gesprächsthemen
und -führung durch Veränderung der politisch-gesellschaftlichen
Lage“ bis hin zur „theoretischen und praktischen Überwindung traditioneller
Wahrnehmungs- und Argumentationsschemata im dialogischen Miteinander“,
vom „Erlernen der arabischen und hebräischen Sprache“ über „Akkulturation“,
„Assimiliation und kultureller Transformation“ bis hin zur „religiösen
Konversion“. Mit der skizzierten Herangehensweise soll eine Theorie der interreligiösen Diskursivität im Spannungsfeld
von traditionellen und innovativen Ansätzen zur Dialog- und Konfliktgestaltung
entwickelt werden, die das „Funktionieren“ oder „Nichtfunktionieren“ dialogischer
Texte zwischen Religionen und Kulturen erläutern kann. Insbesondere
können die verschiedenen Verhaltensweisen der christlichen Autoren
gegenüber dem Islam rekonstruiert werden. Es wird sich zeigen, ob
ihr literarisches Schaffen eher als strategisches, prozessuales oder konfliktuelles
Handeln oder als eine Mischform hieraus zu bewerten ist. 3. Inhaltliche Ergebnisse Das Forschungsprojekt wird auf mehreren Ebenen zu neuen Ergebnissen kommen. Vordergründig wird
es einen Beitrag zum Kulturtransfer und zur Wissenstransformation auf der
Iberischen Halbinsel sowie zum vornationalen Selbstverständnis der
dortigen Kirche und Gesellschaft im Hoch- und Spätmittelalter liefern.
Wichtiger jedoch wird die zu erwartende Vertiefung unseres Verständnisses
von den Bedingungen und Notwendigkeiten des interreligiösen Dialogs
bzw. Nicht-Dialogs in einem Kernraum der europäischen Geschichte sein.
Die Arbeit wird verstehen helfen, wie sich die Identität einer christlicher
werdenden Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit dem Islam entwickelt.
Dabei wird vermutlich deutlich werden, daß die Vorstellung von einer
monolithischen Haltung „der“ christlichen Kirche gegenüber „dem“ Islam
in Spanien wie überhaupt in Europa unbegründet ist. Dies kann
den gegenwärtig geführten Dialog mit dem Islam erleichtern. Da
das Projekt auch Parameter für die Beschreibung potentiell religiös-kultureller
Kontakt- und Konflikregionen entwickeln wird, liefert es zudem einen Beitrag
zu Wahrnehmungs- und Erklärungsmustern des Eigenen und des Fremden. 4. Veröffentlichungen, Vorträge und Tagungen Geplant ist als Hauptveröffentlichung neben der Publikation von Detailstudien und Vorträgen im Rahmen oder
auf Vermittlung des IThF eine Monographie (mit Autoren- und Werkrepertorium),
die in der vom IThF herausgegebenen Reihe „Theologie und Frieden“ erscheinen
soll. Konkret geplant ist bereits die Teilnahme am International Medieval
Congress, Leeds, 12.–15. Juli 2004, auf dem der Projektleiter am 12. Juli
in einem Vortrag zum Thema „Manners of literal behaviour in the christian-islamic
approaches on the Iberian Peninsula 12th–15th centuries“ Grundthesen des
Forschungsprojekts vorstellt. Geplant sind ein Vortrag auf der Tagung der
Internationalen Gesellschaft für Theologische Mediävistik zum
Thema „Theologische Rezeptionsvorgänge im Mittelalter“ in Weingarten,
April 2004, ferner die Organisation einer internationalen und interdisziplinären
Fachtagung zum Thema "Christlicher Norden – Muslimischer Süden. Die
Iberische Halbinsel im Kontext religiöser und politischer Veränderungen
zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert" im Herbst 2007, um eine Zwischenbilanz
ziehen zu können, sowie die Organisation einer Internationalen Tagung
zum Thema „Formen und Funktionen des interreligiösen Dialogs in Mittelalter
und Neuzeit“ im Herbst 2009, auf der zur Themenstellung des Forschungsprojekts
eine vorläufige Schlußbilanz erarbeitet werden soll. 5. Zeitansatz, Aufenthaltsorte und wissenschaftliche Kooperationen Das Forschungsprojekt ist als bilaterales Projekt zwischen dem Hugo von Sankt-Viktor-Institut und
dem IThF konzipiert. Es beginnt am 1. Juli 2004 und erstreckt sich über
5 Jahre. Geplant ist eine Aufteilung in zwei Phasen (3+2 Jahre). Der erste
Arbeitsabschnitt ist als Aufbauphase der Materialsammlung und -sichtung
vorbehalten. Das 3. Jahr sollte in Spanien der Autopsie spanischer Originalquellen
und spezifischer, in Deutschland nicht oder nur schwer erhältlicher
Spezialliteratur dienen; der persönliche akademische Austausch mit
spanischen Kollegen ist dabei von besonderer Bedeutung. Der zweite Arbeitsabschnitt
ist als Auswertungs- und Schreibphase vorgesehen. Hauptsächlicher
Aufenthaltsort ist der Dienstsitz am Hugo von Sankt-Viktor-Institut. Im
Zuge der Kooperation mit in- und ausländischen Forschungsreinrichtungen
und Fachwissenschaftlern ist die wissenschaftliche Rückbindung an
das IThF, das
Studienprogramm
„Islam und muslimische Begegnung“ der Hochschule Sankt Georgen und
dem CIBEDO, Frankfurt am Main (im Haus)
vorgesehen. In Spanien sind Aufenthalte und Kontakte mit spanischen und
französischen Forschergruppen in Madrid (Consejo
Superior de Investigaciones Científicas; Universidad
Pontificia Comillas), Alicante (Instituto
Turolensis, Area de Estudios Árabes e Islamicos de la Universidad
Alicante) und Granada (Escuela de
Estudios Árabes) geplant. © by Dr. Matthias M. Tischler